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  • Sebastian Louven und Ralf Dewenter

11. GWB-Novelle: Veräußerungspflicht und Auswirkungen staatlicher Differenzkompensation

Der aktuelle Entwurf zur 11. GWB-Novelle enthält mit § 32f GWB-E einen Vorschlag für ein neues Regulierungsinstrument. Dieses soll im Anschluss an eine Sektoruntersuchung zum Einsatz kommen. Es ermöglicht dem BKartA, Unternehmen Verpflichtungen unabhängig davon aufzuerlegen, ob diese gegen ein kartellrechtliches Verbot verstoßen haben. Voraussetzung ist lediglich, aber auch jedenfalls, dass eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs auf mindestens einem mindestens bundesweiten Markt, mehreren einzelnen Märkten oder marktübergreifend vorliegt und das BKartA dies ausdrücklich feststellt.


Voraussetzungen für Veräußerungspflichten

Sind diese Voraussetzungen gegeben, eröffnen sich gemäß § 32f Abs. 3 GWB-E neue Befugnisse für das BKartA. Diese ermöglichen auch strukturelle Verfügungen. Weitergehend soll das BKartA nach § 32f Abs. 4 GWB Unternehmen verpflichten können, Unternehmensanteile oder Vermögen zu veräußern. Aufmerksamkeit verdienen die Sätze 7 und 8:

  • Gemäß § 32f Abs. 4 S. 7 GWB-E ist vorgesehen, dass der Vermögensteil nur veräußert werden muss, wenn der Erlös mindestens 50 Prozent desjenigen Wertes beträgt, den ein vom Bundeskartellamt zu beauftragender Wirtschaftsprüfer festgestellt hat. Das verpflichtete Unternehmen hat also ein Einwendungsrecht gegenüber der Veräußerungsverpflichtung.

  • Gemäß § 32f Abs. 4 S. 8 GWB-E ist weitergehend eine Kompensationsregelung vorgesehen, wenn der tatsächliche Erlös den vom zu beauftragenden Wirtschaftsprüfer festgestellten Wert unterschreitet. In diesem Fall erhält das veräußernde Unternehmen eine zusätzliche Zahlung in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen dem festgestellten Wert und dem tatsächlichen Verkaufserlös.


Berechnung der Differenzkompensation

Diese beiden Regelungen haben einen verfassungsrechtlichen Hintergrund. Eine Verpflichtung zur Veräußerung würde einen Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum darstellen.


Sie lassen sich für den Einstieg mit folgendem Beispiel veranschaulichen:


Es soll ein Vermögensanteil veräußert werden. Der vom BKartA beauftragte Wirtschaftsprüfer stellt einen Wert für diesen Vermögensanteil in Höhe von 100 Mio. EUR fest. Beträgt der tatsächliche Erlös weniger als 50 Mio. EUR, so müsste das Unternehmen wegen S. 7 nicht veräußern. Liegt der tatsächliche Erlös beispielsweise bei mindestens 50 Mio. EUR, so muss das Unternehmen zu diesem Preis veräußern, erhält aber zusätzlich wegen S. 8 eine Zahlung – in diesem Fall in Höhe von mindestens 25 Mio. EUR Die Gesamtgegenleistung, die aus der Summe vom tatsächlichen Erlös durch den Verkauf und der Zahlung durch den Staat besteht, liegt demnach bei 75 % des festgestellten Wertes, wenn denn die Verpflichtung zur Veräußerung greift. Werte oberhalb von 50 % erhöhen sich dann linear auf bis zu knapp unter 100 % des festgestellten Wertes.


Dieser Mechanismus dürfte im Zusammenhang mit dem grundrechtlichen Schutz des Eigentums stehen. Dahingehend stellt sich die Frage, ob die Durchsetzung von Veräußerungspflichten unterhalb von 100 % eine Aushöhlung der Eigentumsrechte ohne angemessene Entschädigung darstellen. Denn der eigentliche Gegenwert für den Erlös kann im Ergebnis immer noch im Wettbewerb erzielt werden. Allerdings bleiben dem Gesetzgeber Gestaltungsspielräume offen. Unbenommen bleibt dem Veräußerer, einen höheren Erlös zu verlangen und gegebenenfalls durchzusetzen.


Sollte nur ein Käufer für den zu veräußernden Vermögensteil in Betracht kommen, so wird ein solcher regelmäßig Gebote von maximal 50 % des festgestellten Wertes abgeben. Dies setzt natürlich voraus, dass dieser vom Wirtschaftsprüfer festgestellte Wert bekannt ist. Allerdings sollte dies eine notwenige Voraussetzung sein, da eine Entscheidung nur auf Grundlage von bekannten Vermögenswerten getroffen werden kann.


Alternativ wäre eine Ausschreibung mit genauen Angaben über den Vermögensteil – ohne Bekanntgabe des Wertes – denkbar, nach der der potenzielle Käufer selbst eine Einschätzung für den Vermögenswert gemäß seiner Zahlungsbereitschaft abgibt. Dies setzt wiederum voraus, dass die Vermögensteile sich so gut beschreiben lassen, dass sich deren Nutzen für potenzielle Käufer daraus direkt ableiten lassen. Jedoch würde das die Kollusionsanreize zwischen Verkäufern und Käufern reduzieren.


Allerdings ist nicht erkennbar, dass S. 8 nur für Fälle ab der Schwelle von 50 % gilt. Denkbar wäre schon, dass sich das verpflichtete Unternehmen nicht auf die Einwendung stützt und etwa einen Preis in Höhe von z. B. 40 Mio. EUR akzeptiert. Dies wäre aber wohl nur dann der Fall, wenn die Veräußerung der Vermögensteile einen geringeren Nutzen als das Angebot stiften würde oder der Veräußerer eine niedrigere Renditeerwartung hat. Möglich wäre das wohl nur, wenn die Einschätzung des Wirtschaftsprüfers deutlich überhöht ist. Letzteres ist allerdings gerade bei Vermögensteilen, die auf Daten und Künstlicher Intelligenz basieren, nicht ganz ausgeschlossen. Dann könnte es zusätzlich wegen S. 8 eine Zahlung durch den Staat in Höhe von 30 Mio. EUR verlangen und so eine erhebliche Kompensation erlangen.


Ebenso hypothetisch denkbar wäre dann eine Veräußerung zu einem Erlös von 0 EUR (oder zu einem Euro), wobei in der Folge nach S. 8 eine Erstattung in Höhe von 50 Mio. EUR zu leisten wäre. Nicht nur in solchen Fällen würden auf den Staat hohe Ausgleichszahlungen zukommen, bei denen sich die Frage stellt, ob solche Ausgaben durch mögliche Wohlfahrtsgewinne aus dem Verkauf gerechtfertigt sind und ob es nicht andere Mittel gebe, die ein ebenso wirksam wären. Gerade eine Fehleinschätzung durch den Wirtschaftsprüfer könnte dem Staat hohe Ausgaben bescheren.


Inkonsistenz schafft Fehlanreize

Die Regelung des S. 7 enthält noch eine kleine Inkonsistenz: Sie schreibt den tatsächlichen Erlös für die Einwendungsmöglichkeit vor. Damit setzt der Wortlaut die Vollziehung einer Veräußerungsvereinbarung voraus, die gerade nicht zustande kommen muss. Soll es gerade auf einen abgeschlossenen Vertrag ankommen, so trifft das verpflichtete Unternehmen zudem ein schuldrechtliches Risiko, gerade etwa auch zu einem niedrigen Preis veräußern zu müssen. Es müsste sich also eine Beendigungsklausel einräumen lassen, um notfalls nicht vertraglich umsetzen zu müssen, was es nach S. 7 verweigern darf. Noch einmal mehr steigt dieses Risiko im Zusammenhang mit S. 8. Damit steigt an dieser Stelle das Risiko von unzulässigen Scheinverträgen zu günstigen Erlösen. Das bedeutet, dass sich ein Veräußerer und ein Erwerber zwar in Verhandlungen etwa über eine Zahlung in Höhe von 75 Mio EUR einig sein könnten, trotzdem aber einen Kaufpreis in Höhe von lediglich 50 Mio EUR oder in der Differenz dazwischen vereinbaren. Der Veräußerer könnte dann die Differenz zum verhandelten Preis über den Zuschuss erlangen und der Erwerber würde einen erheblichen Rabatt erhalten.


Gebot der Wirtschaftlichkeit

Keine Aussage erhält der Vorschlag zudem hinsichtlich eines Gebots der Wirtschaftlichkeit. Auf den ersten Blick ist es nachvollziehbar, dass sich ein verpflichtetes Unternehmen grundsätzlich immerhin noch seinen Geschäftspartner frei aussuchen können soll. Dabei könnten für die Auswahl etwa weitere Faktoren eine Rolle spielen wie etwa Vertrauen, Solvenz, bereits bestehende oder zusätzliche Kooperationen, ggf. auch wettbewerbliche Nähe oder die Fähigkeit des Erwerbers, den Vermögensgegenstand seinem bisherigen Zweck entsprechend einzusetzen und damit eine Vorleistung für den Veräußerer zu stellen.


Reduktion der Steuerpflicht

Übrigens noch eine hier offen gelassene Frage ist die nach der Steuerpflicht. Der vom Erwerber gezahlte tatsächliche Verkaufserlös wäre steuerpflichtig. Die Differenzzahlung nach S. 8 würde aber wohl lediglich eine Kompensation ohne dafür erhaltenen Gegenwert darstellen. Damit könnte sie nicht zu versteuern sein.


Strategische Erwägungen

Die vorstehenden Erwägungen zeigen, dass es durchaus strategische Gründe für bestimmte Preisgestaltungen geben kann. In der Folge würde der Staat mit einer Kompensation eintreten und eine Differenz zu dem erstatten, was sich immerhin im Markt ergeben hat. An dieser Stelle rückt wiederum die Bedeutung der Wertbestimmung durch einen Wirtschaftsprüfer in den Mittelpunkt. Denn bei einigen Vermögenswerten wie etwa Daten ist diese Bestimmung nicht so einfach. So kann häufig gerade kein Marktwert bestimmt werden, wenn es sich um Vermögen aus dem Innovationsbereich handelt oder eine erhebliche wettbewerbliche Dynamik besteht. Dann könnte sich ein Wert an einem erzielbaren Gewinn orientieren und gegebenenfalls sehr hoch sein. Er könnte aber auch an den Kosten bestimmt werden, die bei Daten regelmäßig sehr niedrig sind. Für die rechtliche Kontrolle der Wertbestimmung durch den Wirtschaftsprüfer enthält § 32f GWB-E keine Regelungen, sodass diese inzident im Rechtsschutz gegen die Veräußerungsverpflichtung zu prüfen wäre.

Es kann also nicht zwingend von der Feststellung des Wirtschaftsprüfers auf den Marktwert geschlossen werden. Durch geschickte Erlösfestlegung könnte der Veräußerer erhebliche Summen vom Staat erhalten und der Erwerber von einer Zahlung befreit sein. Letzteres kann insbesondere bei Bieterwettbewerb eine Begünstigung darstellen. Dann stellt sich weiterhin die Frage, ob diese eine am Maßstab von Art. 107 AEUV zu messende Beihilfe ist.

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