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  • Ralf Dewenter

Kartellschadensersatzverfahren und Schadensschätzungen


Private Schadensersatzklagen in Kartellfällen haben die Eigenschaft, dass sie oftmals viele Jahre andauern, bevor es zu einem Urteil kommt. Ein Grund dafür ist die vorhandene Informationsasymmetrie zwischen Gerichten und ökonomischen Gutachtern. Gerichte verfügen naturgemäß nicht über die Expertise, die den Gutachten zugrunde liegt und eine Aneignung des Wissens, macht für Richterinnen und Richter auch nur teilweise Sinn. Darüber hinaus ist die Ökonomik auch keine so exakte Wissenschaft wie etwa die Mathematik oder die Physik. Es existieren oft gegensätzliche Theorien und Modelle und oftmals können unterschiedliche Methoden verwendet werden, um einen bestimmten Effekt zu messen.

 

Trotz dieser Unschärfe gibt es aber natürlich je nach Fragestellung gute und weniger gute Ansätze, geeignete und weniger geeignete Methoden und natürlich gute und weniger gute Gutachten. Die Wahl einer geeigneten Methode hängt nicht zuletzt davon ab, welche Daten verfügbar sind, welche Methoden also überhaupt angewendet werden können. Aber auch, wie gut sich eine Methodik vermitteln lässt, spielt mitunter eine Rolle. Darüber hinaus haben Kläger und Beklagte unterschiedliche Anreize, bestimmte Methoden zu wählen.

 

In einem Kommentar zum Zuckerkartell für die Zeitschrift Wirtschaft und Wettbewerb habe ich mich mit diesen Fragen beschäftigt und herausgearbeitet, dass es Reformen auf institutioneller und womöglich auf materieller Ebene bedarf, um eine Verkürzung der Verfahren zu erreichen. Gleichzeitig soll aber gewährleistet sein, dass die Schadensschätzungen auf einem hohen technischen Niveau durchgeführt werden und nicht die Methodik verwendet wird, die am besten vermittelt werden kann. Welche Reformen dafür infrage kommen, diskutiert der Kommentar allein schon aufgrund der gebotenen Kürze allerdings nicht.

 

Welche Ansätze sind aber nun geeignet, (i) die Verfahren zu beschleunigen, (ii) die Verwendung einer geeigneten Methodik zu ermöglichen und (iii) möglichst die oftmals vorhandenen Extrempositionen einiger Parteigutachter aufzulösen? In der Diskussion finden sich einige Vorschläge, angefangen bei Kreuzverhören der Parteigutachter über eigenständigen Kartellgerichten, bis hin zu Schadensvermutungen, die im Gesetz verankert sind. Auch hört man immer wieder von der Idee, die Schäden einfach ohne ökonomische Expertise durch das Gericht selbst einschätzen zu lassen. Letzteres würde wohl die Kosten der Gutachten senken, jedoch gleichzeitig die Kosten durch Fehleinschätzungen deutlich erhöhen.

 

Wahrscheinlich ist keine der diskutierten Vorschläge alleine geeignet, alle drei Ziele (Verfahrensbeschleunigung, Qualitätssicherung, Treffsicherheit) gleichzeitig zu erreichen. Eine Erhöhung der Qualität der Gutachten, durch Anwendung einer geeigneten Methodik, kann zwar die Treffsicherheit erhöhen, führt aber wohl tendenziell – wenn keine anderen Maßnahmen getroffen werden – aufgrund der höheren Komplexität zu einer Verlängerung des Verfahrens. Eine Begrenzung der Gutachterrunden kann dagegen die Verfahrensdauer verkürzen aber verringert ceteris paribus tendenziell die Treffsicherheit.

 

Eine Kombination geeigneter Maßnahmen sollte also darauf abstellen, die Qualität und die Treffsicherheit der Schadensschätzungen zu erhöhen, bei gleichzeitiger Verkürzung der Verfahren. Da man den Gerichten nicht zumuten kann, sich selbst mit immer wieder neuen Methoden und Ansätzen zu beschäftigen, sollte die Qualitätsfrage extern gelöst werden. Denkbar sind hierbei zum einen Qualitätsstandards wie sie schon einmal vom Bundeskartellamt für ökonomische Gutachten vorgelegt wurden. Hierdurch lassen sich grobe Verfehlungen im Ansatz vermeiden.  Die Informationsasymmetrien zwischen den Gutachtern und den Gerichten werden dadurch aber nicht oder nur geringfügig verringert. Daher wäre eine weitere Maßnahme, das Gericht durch weitere Expertise auszustatten. Dies kann durch verschieden Maßnahmen geschehen. So können z. B. ökonomische Gerichtsgutachter das Verfahren nicht erst wie üblich zu einem späteren Zeitpunkt, sondern von Anfang an begleiten, sodass zu jeder Zeit die Expertise einer Ökonomin bzw. eines Ökonomen eingeholt werden kann. Dies würde die sofortige Einarbeitung erfordern und die ebenso die Notwendigkeit, während des gesamten Verfahrens zur Verfügung zu stehen. Die Maßnahme hätte aber den Vorteil, dass Argumente und Methoden gleich zu Anfang überprüft und Datenanforderungen rechtzeitig festgelegt werden können. Problematisch könnten dabei zwar etwaige Interessenskonflikte der ökonomischen Gutachter sein. Auf der anderen Seite sollte genügend ökonomische Expertise vorhanden sein, um diese Positionen zu füllen. Alternativ könnten auch ökonomische Richter eingesetzt werden, um dem Problem der Interessenkollision aus dem Wege zu gehen. Beides würde die Kosten des Verfahrens zwar erhöhen aber tendenziell die Treffsicherheit und die Qualität erhöhen und durch rechtzeitigen Ausschluss von schlechten Ansätzen, die Verfahren verkürzen. Alle diese Maßnahmen sind wohl zu geringen Kosten durchsetzbar, versprechen aber gleichzeitig einen relativ hohen Nutzen.

 

Neben weiteren institutionellen Ansätzen wären auch materielle Maßnahmen denkbar. So ist es zwar durchaus möglich, dass ein Kartell zu einem Nullschaden geführt hat, also Preisüberhöhungen nicht durchgesetzt werden konnten.  Es ist aber weniger wahrscheinlich, dass dies bei jedem Kartell der Fall ist. Entsprechende Anpassungen, die diese Tatsche berücksichtigen, könnten durch alternative Schadensvermutungen oder eine Beweislastumkehr herbeigeführt werden. Dazu müssten allerdings alle Vor- und Nachteile solcher Maßnahmen genau abgewogen werden – sowohl, was die Wirkung auf die diskutierten Ziele angeht, als auch bezüglich weiterer Kosten.

 

Insgesamt sind die Maßnahmen bezüglich ihrer Eignung noch intensiv zu diskutieren und deren Vor- und Nachteile abzuwägen. Bei genauer Betrachtung erscheint die Entlastung der Gerichte durch Qualitätsstandards und ökonomischer Gutachter, die ein Verfahren von Anfang an begleiten, jedoch bei mit am besten geeignet zu sein, um die Ziele der Verfahrensbeschleunigung, Qualitätssicherung und Treffsicherheit bei gleichzeitig relativ geringen Kosten zu erreichen.

 

 

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